Das ewige Dilemma bei der Neugründung eines Modelabels ist Kapital. Um eine Kollektion fertigen zu lassen, braucht man eine Stange Geld. Der Teufelskreis beginnt, wenn man ohne Kapital starten möchte, und eine limitierte Anzahl von Teilen aufwändig selbst fertigen muss. Wenn diese verkauft sind, kommt man kaum mit der Produktion hinterher. Um Ressourcen zu sparen, könnte man Konzepte anwenden, bei denen nur auf Bestellung gefertigt wird, so erzielt man nebenbei eine Verknappung, die (psychologisch) den Wert des Produkts steigern kann. Oder man lagert die Produktion aus. Die wenigsten Firmen produzieren unter 30 Teile pro Bestellung, das ist sogar wenig und läuft unter Kleinserienproduktion. Hier wird deutlich, dass die Modeindustrie ein Konsumgütermarkt ist, bei dem es vor allem um Gewinn geht, um schnelle Produktion und Masse, was verheerende Folgen hat.
(Mehr zu diesem Thema kann man gut in dem Film „The True Cost of Fashion“ sehen.)

Wartenau 16, Coworking Atelier für Mode, Hamburg, Februar 2018

Mohammad Al Daya ist ein Schneider aus Syrien und seit 3 Jahren in Deutschland. Letztes Jahr ist endlich seine Frau hierher gekommen. Als Familienvater, der eine 6-köpfige Familie inklusive Neffen des erschossenen Bruders zu versorgen hat, wollte er sich selbständig machen und tauchte eines Tages bei mir im Formschoen auf. Er bat um einen Atelierplatz, da er sich selbständig machen wolle als Änderungsschneider. Kurze Zeit später nahm er seine Praktikumsstelle auf, und unterstützte mich nach bestem Wissen. Im Gegenzug habe ich ihn in seinen Fragen zum Leben in Deutschland unterstützt, Kontakt mit seinem Arge-Sachbearbeiter gehalten und ihm zugehört, wenn es gebraucht wurde. Leider hatte er in Syrien keine europäischen Fertigungsmethoden in der Herrenkonfektion erlernt, und er war noch immer traumatisiert, so dass mir durch sein Bemühen einige Mühen entstanden, wenn ich Teile auftrennen und neu verarbeiten musste.1
So verbrachte ich den Sommer im Atelier, um selbst mit Hilfe von Mohammad und einer anderen sehr fähigen (auch zugewanderten) Schneiderin eine kleine Anzahl an Teilen zu produzieren.
Ich stellte fest, dass mich diese Art der Produktion nicht weit bringen würde, wie erwartet.

Wenn man Produktentwicklung, Schnittkonstruktion, Grafik, Webseite, Vertrieb, Marketing und Buchführung selbst machen muss, dann schafft man Fertigung nicht auch noch, außer man schläft nie, hat keine Freunde oder geschweige denn eine Lebenspartnerschaft. Es gibt einige wenige einzelunternehmende Schneider in Hamburg, die Auftragsarbeiten durchführen. Oft fehlt es ihnen an Infrastruktur, an Equipment und Routine, man muss sie also stets begleiten und auf hochwertige Arbeit achten. Eine Produktionsfirma, die Kleinserien (30 pro Teil) fertigt, ist also der einzige Weg, wenn man qualitativ hochwertige Teile, eine vernünftige Marge und eine zuverlässige Zusammenarbeit erreichen will. (Update 03/2019:) Mittlerweile habe ich Kontakt zu einer Firma in Polen, den Chef habe ich bei einem Seminar über Kreislaufdesign (GGC & circular.fashion) kennengelernt. Hier möchte ich also demnächst meine Musterkollektion herstellen lassen, und eine Zusammenarbeit beginnen.

Kleinserienproduktion muss gefördert werden.

Leider sind kleine Produktionsstätten rar, obwohl es nicht an Spezialisten mangelt. Sie kommen aus aller Herren Länder und bräuchten nur die Arbeitserlaubnis und eine Infrastruktur. Wenn ich nicht nur eine Person wäre, würde ich dies auch noch ändern. Zum Glück gibt es mittlerweile eine Bewegung in die Richtung.

1(Mohammad wurde eine Selbständigkeit seitens des Amtes verwehrt, und er arbeitet nun als Kraftfahrer, kann seine Familie samt Neffen knapp ernähren, scheint aber zufrieden. Eine Selbständigkeit hätte ihn in seinem Zustand zermürbt; wir bleiben in Kontakt.)