Zukunft der Mode

(Dieser Beitrag ist die schriftlicher Version zweier Vorträge, die ich zuerst auf dem C6C3 Kongress im Dezember 2019 und dann im Rahmen der Reihe WER/WIE/WAS zum Thema Intelligenz am 30.1.2020 gehalten habe. Die Slides sind im PDF als Begleitunterlagen hier als D/L erhältlich)

Während meiner MA Thesis hat mich die Frage beschäftigt, was uns als Menschen ausmacht, im Unterschied zur Künstlichen Intelligenz, und welche Rolle Kleidung für uns eigentlich spielt. Wird es eine Singularität geben? Woher kommt Mode? Ich wollte sie verstehen, um einen nachhaltigen Umgang mit ihr zu finden. Denn nur, was man im Innersten versteht, kann man hacken.

Die Antwort fand ich in der Quantenphysik: Wir sind Teil eines komplexen Systems, von dem wir uns nicht ausnehmen können, in dem alles voneinander abhängig ist und resoniert. Es gibt kein Innen und Außen, kein Entweder Oder. Es ist sowohl als auch. Während etwas ist, sind wir bewusst. Karen Barad hat den Begriff der Intra-Aktion geprägt, HP Dürr spricht davon, dass es keine Materie gebe sondern nur Beziehungen. Wir sind Wesen der Resonanz, in der Soziologie von Hartmut Rosa beschrieben.

Das System, nach dem „Mode“ wie wir sie kennen und verstehen, heutzutage funktioniert – und alles andere auch – basiert auf einem komplett anderen Seins-Verständnis, einer anderen Ontologie. Wir sehen uns als voneinander unabhängige, abgetrennte Individuen, abgeschnitten vom Außen, der Welt, der Natur. Da wundert es nicht, dass wir Naturgüter als Ressourcen bezeichnen, uns der Natur bedienen, sie ausbeuten, miteinander im Wettbewerb stehen und ohne Beachten der Konsequenzen versuchen, unsere Vorteile zu maximieren. Der Kauf von Waren verleiht uns sogar hin und wieder das Gefühl des vorübergehenden Zu-Etwas-Gehörens.

Die Warenwelt funktioniert nach dem Prinzip der Eine-Welt-Welt. Natürliche Intelligenz allerdings besteht aus vielen Welten, einem Pluriversum, das lebendig ist und stets in Bewegung, Resonanzen erzeugt und sich entwickelt. Gleichzeitig an unterschiedlichen Stellen auf differenzierte Art, und alles verbindet etwas Gemeinsames. In dem Kontext bedeutet der Begriff Conscious Clothes weit mehr als wir uns generell darunter vorstellen. Eine neue Seins-Perspektive ist nötig, um das zu erfassen. Es geht hierbei darum, Kleidung im Sinne von natürlicher Intelligenz aus seinem Bewusstsein heraus zu gestalten. Die Kleidung reflektiert das Bewusstsein einer relationalen Bewegung, und ist nicht dazu da, ein bestimmtes Gefühl von außen aufgestülpt zu erzeugen – wie es uns von der suggerierenden Modeindustrie weisgemacht wird. Sie schafft nicht unsere Identität, aber haptisches Erleben schafft immanent Bewusstsein. Bewusstsein und Mode entsteht aus der Auseinandersetzung mit Material und unserer Umgebung, in Resonanz, durch das Lebendigsein und reflektiert diesen schöpferischen Prozess – so wie wir es von Kultur kennen. Mode ist Kultur, und gehört nicht auf den FMCG Markt.

Derzeit ist die Modebranche geprägt von Massenproduktion und abhängig von einer komplexen globalen Zulieferkette. Kleidung ist derzeit eine Ware, ihr Wert reduziert auf die Herstellungskosten. So überrascht es nicht, wenn sie auch als solche behandelt wird – genutzt und entsorgt, als Folge der Entkopplung von Kultur und Kleidung. Modeunternehmen als Teil der Marktwirtschaft konkurrieren um Kunden, kämpfen um Margen und nachhaltig produzierte Kleidungsstücke stehen in Konkurrenz zu den Massenartikeln, die ausbeuterisch gefertigt wurden. Das Problem der Entropie wird nicht gelöst. Das System fordert Opfer, die wir nicht mehr akzeptieren können, unsere Welt bricht zusammen.

Um den zerstörerischen Kreislauf zu unterbrechen, reicht es nicht, ein Kreislaufprinzip der Nutzung nach alten wachstumsorientierten Werten zu konstruieren, bei dem von der Schonung von Ressourcen die Rede ist. Kleidung würde weiterhin massenweise global produziert und häufiger gekauft as geliehen, in aufwändige Recyclingprozesse geleitet und mangels adequater Infrastruktur oder Finanzierung weiterhin Müllkippen füllen. Das Verhältnis von uns zu Kleidung bliebe dasselbe, mangelnde Wertschätzung der weiterhin als Ware gehandelten Textilien verhilft nicht zu der ganzheitlichen Lösung des umfangreichen Problems. Mein Vorschlag ist eine Online Anwendung, die zur Demokratisierung von Mode beitragen kann, sie regionalisieren und Nachhaltigkeit aus dem Luxussegment zu einem alltäglichen Standard für alle machen würde. Die Anwendung bietet VerbraucherInnen die optionale Teilhabe am Entwurfsprozess und führt über Datenanalyse und demokratische Auswahlverfahren zu regionaler Mode. Dabei wird nach einem sogenannten Prinzip der Kosmo-lokalen Fertigung gearbeitet, bei dem Wissen sich global (Kosmos) vermehrt, und regional angewandt wird. 

Die Software ermöglicht AnwenderInnen online anhand vorgeschlagener Basiskollektionen Wunschdesigns zu erstellen. Die produktionsspezifischen Parameter wie Schnitt, Farbe und Material werden digital im Hintergrund auf Plausibilität geprüft und in Produktionsanleitungen überführt. Die durch die Anwendung gewonnenen Daten zu Vorlieben von NutzerInnen führen zu einer Verdichtung von Trends, auf deren Grundlage die zu produzierende Kleidung ausgewählt wird und im Verlauf regionale Moden entstehen.
Menschen werden ermächtigt, ihre Umgebung mitzugestalten, und auf diese verantwortliche Weise starke regionale Netzwerke zu bilden. Ich benenne diesen Prozess mit Community Based Design (CBD), was begrifflich Bezug nimmt auf unterschiedliche Gegenden und deren BewohnerInnen, und das gemeinsame Entwerfen von Gegenständen im Kontext des lokalen Umfelds (Social Design) beinhaltet. Mode ist ein auf Resonanz beruhendes Phänomen, das innerhalb von Gruppen entsteht und stets in Bewegung ist.
Dieser bewusste Umgang mit dem Medium Kleidung in Relation zu kulturellen Kontexten, lädt Menschen ein, ihren Bezug zu Kleidung zu überdenken. Eine solche Auseinandersetzung schärft das Bewusstsein für den Ursprung unserer Dinge und ihren Wert. Der resultierende Transfer von Kleidung aus der Warenwelt in den Kulturbereich, die Wahl robuster Materialien und steigende Wertschätzung bedeuten eine verlängerte Nutzungsdauer.
Beim Design habe ich mich für eine Monomaterial-Strategie entschieden und bereits eine Auswahl an kompostierbaren Materialien getroffen. Um trotz regelmäßiger Pflege eine längere Nutzungsdauer zu erzielen, und gleichzeitig Raum für Personalisierung zu lassen, sind der Kragen und die Taschen auswechselbar. Anstelle von Knöpfen habe ich ansteckbare „Snaps“ entworfen, um sie vor Einflüssen durch Waschen zu schützen und auch Personalisierung zuzulassen. Die Basiskollektion besteht aus einem Jackengrundschnitt, dessen herausnehmbares Futter als Hemd tragbar sein soll und die Module kombinierbar. Alle Teile kommen ohne Reißverschlüsse und andere Metallelemente aus.

Damit nicht genug, denn was nutzt kollektives Gestalten, wenn die Produkte dann individuell getragen und verworfen werden? Es muss auch anders gehen, und eine Möglichkeit wäre das Prinzip der Commons anzuwenden, und die Kleidung in einem Pool per Abo den NutzerInnen zugänglich zu machen. Nutzen, weitergeben. Es entsteht ein Kreislauf. Beim Commoning geht es genau wie bei derjenigen Ontologie, die den Erkenntnissen der Quantenphysik entspricht, und welche Mode als Phänomen begreifbar macht nicht um „Entweder oder“, sondern um „Sowohl als auch“. Wir gehen von Do It Yourself zu Do It Together, durch sorgendes Wirtschaften entsteht ein inklusives Ökosystem, bei dem niemand zu kurz kommt und das Grundbedürfnis für ALLE gestillt wird. Ähnlich wie bei der Solidarischen Landwirtschaft, bei der es darum geht, Grundbedürfnisse gemeinschaftlich zu stillen. Alle zahlen anteilig die Versorgung, indem sie monatliche Beiträge leisten, die sie sich leisten können. Diejenigen, die weniger haben, bekommen trotzdem, was sie brauchen. Indem Arbeit dem Markt entzogen wird, erhält das Resultat eine andere Qualität und aus Ware wird wieder ein Kulturgut. Gemeinsames Nutzen oder Pflegnutzen ist eine Tätigkeit, die dann im Zentrum von Commoning steht, wenn Dinge sich verbrauchen. Konkret wird es darum gehen, die Kleidung instandzuhalten, vielleicht durch Handarbeitskreise, wie man sie teils von früher kennt. Nutzen und Weitergeben ist von der Sharing Economy zu unterscheiden, denn bei der geht es um Vermietung im Mikromaßstab und die Lizenzierung von Besitz. Wir würden alle einen fairen Anteil bekommen, die Datenbank des Wissen über Design und Produktionsanleitungen würde sich stetig vergrößern, KMUs der jeweiligen Region wären gefördert und starke Netzwerke können sich entwickeln, die durch gemeinschaftliches behutsames Wirtschaften und das Nutzen konvivaler Werkzeuge eine Marktunabhängigkeit und somit Preissouveränität erlangen. Genau das ist unabdinglich im Bestreben, nachhaltige Mode ohne ausbeuterische Praxis zugänglich für alle zu machen. Und zum Glück bestehen mittlerweile gute Chancen, dies umzusetzen. Die Makerbewegung bringt tolle Projekte hervor, wie die Kniterate, die Hilo, TexLabs und Naturfärberei. Mobilität und somit Logistik wird derzeit klug gelöst durch Nutzung bestehender Ressourcen. Und was bleibt uns angesichts der neuen Weltlage anderes übrig, als die Globalisierung neu zu denken und zwar digital global, und analog regional.

Hier ein Auszug aus dem zu empfehlenden Buch „Frei, fair und lebendig“ (transcript Verlag, als kostenloses Download erhältlich) „Die Welt des Commoning stellt den Kapitalismus in seinen Grundfesten in Frage, weil sie auf einem anderen Seinsverständnis basiert. Dies wird häufig nicht erkannt, denn viele Menschen sehen Commons durch die normative Linse der modernen westlichen Kultur. Sie haben den methodologischen Individualismus und die Sprache der Trennung verinnerlicht. Commoning aber folgt einer anderen Orientierung, weil es auf der Grundidee tiefgreifender Relationalität von allem basiert. Die Welt wird als Ort dichter zwischenmenschlicher Verbindungen und gegenseitiger Abhängigkeiten wahrgenommen. Die Praxis ist nicht einfach eine Angelegenheit von Reaktion und Gegenreaktion zwischen unmittelbaren, sichtbaren Akteurinnen und Akteuren; sondern ein pulsierendes Netz aus Kultur und unzähligen Beziehungsdynamiken, aus dem Neues hervorgeht. Die entsprechende Onto-Geschichte, die wir ständig weitergeben, betrachtet uns als Individuum beziehungsweise Vereinzelte. Als solche sind wir die primär Agierenden und bewegen uns in einem Außen: in einer Welt voller Dinge (einschließlich der »Natur«), denen wesensbestimmende Eigenschaften zugesprochen werden. Diese Erzählung behauptet, dass wir Menschen vollkommen frei, in einen präpolitischen »Naturzustand« geboren wurden. Dann allerdings haben sich unsere Vorfahren – Wer genau? Wann? Wo? – in Sorge um den Schutz unseres Eigentums und unserer individuellen Freiheit versammelt und – trotz ihres radikalen Individualismus – miteinander einen »Gesellschaftsvertrag« geschlossen. Der politische Liberalismus setzt eine menschliche Natur voraus, schreibt Margaret Stout, »die eigennützige, atomistische Individuen mit von- einander unabhängigen, statischen Präferenzen dazu bringt, miteinander zu konkurrieren. Sie tun das im Bestreben, ihre eigenen Vorteile zu maximieren und die Konsequenzen für andere wenig oder gar nicht zu beachten.“